III. FÜR EIN NÄHERES UND VERSTÄNDLICHERES EUROPA

Neuzentrierung Europas auf das Essentielle, Erneuerung der Funktionsweise der Behörden und Förderung eines effizienten, transparenten und demokratischeren Europas: Ein Fahrplan, um die Glaubwürdigkeit des europäischen Projekts wiederherzustellen.

A. NEUZENTRIERUNG DER EU DURCH STÄRKUNG DER SUBSIDIARITÄT

Das europäische Projekt erhält seinen Sinn zurück, wenn sich die EU wieder auf das Essentielle konzentriert, d.h. wo der Mehrwert klar sichtbar ist. Die Vereinfachung muss zu einer ständigen Priorität werden. Die Kontrollmission der nationalen Parlamente muss gestärkt werden.

1. Neuzentrierung Europas auf seine essentiellen Aufgaben: Suchen des europäischen Mehrwertes«

Die Reflexion über den europäischen Mehrwert stellt die Schlussfolgerung dessen dar, was aus den heutigen Behörden Europas werden soll. Jede Behördenreform muss mit einer besseren Organisation zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen und der Suche des angemessensten Interventionsniveaus einhergehen. Es geht darum, die innere Organisation der Europäischen Union zu stärken und eine bessere vertikale Integration zwischen den europäischen Ebenen - national, regional und lokal - zu erreichen sowie die Kompetenzen jeder Stufe besser auszunutzen. Die Subsidiarität muss dazu das konstitutive Prinzip des gesamten europäischen Handelns darstellen. Dies wurde durch die Verträge bis 2009 nicht richtig aufgenommen, während die Europäische Kommission erst 2014 ein jährliches Arbeitsprogramm präsentierte, das sich auf die 10 Prioritäten konzentriert.

Jede geteilte Ausübung der Souveränität muss dazu dienen, auf praktische Weise spezifische Bedürfnisse anzugehen. Diese Teilung wird auf die Staaten übertragen und muss auf Verträgen und nicht auf einer föderalisierten Interpretation dieser basieren. Dabei ist zu bemerken, dass die EU eine Föderation von Nationalstaaten und kein föderalistischer Staat im klassischen Sinn ist.

Das Ziel des europäischen Konstrukts ist keine Vereinheitlichung. Die Harmonisierung und Konvergenz können in den Mitgliedsstaaten einen gewissen Ermessensspielraum haben. Diese Reflexion, die bezüglich der Kompetenzaufteilung durchzuführen ist, bedingt in jedem Fall eine gestärkte Rolle der nationalen Parlamente, sowohl bei der Kontrolle der EU-Projekte als auch beim Vorschlagen von Projekten.

Die somit neu zentrierte Union muss sich auf ein glaubwürdiges Budget abstützen können. Der Bericht der hochrangigen Gruppe unter dem Vorsitz von Mario Monti zeigt Wege auf, die es zu erproben gilt.

2. Vereinfachung muss zu einer ständigen Priorität werden

Die europäische Reglementierung wird häufig als kaum verständlich, zu komplex, spitzfindig oder ungerechtfertigt angesehen. Sie illustriert die EU, die sich von den Bürgern und dessen Erwartungen entfernt hat. Das europäische Projekt, das insbesondere im Wirtschaftsbereich eine Chance und eine Möglichkeit darstellen sollte, erscheint häufig als Quelle von Vorschriften und Hindernissen zu zahlreichen Aktivitäten.

Die Umsetzung des REFIT-Programms - englisches Akronym für Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung - stellt seit Oktober 2013 einen unleugbaren Fortschritt dar, den es zu unterstützen gilt. Das Programm zielt darauf ab, die Gesetze zu evaluieren und bei Bedarf zu korrigieren. Dabei geht es darum, auf das lobenswerte Ziel der Vereinfachung der Gesetze und dem Kampf der unnötigen Bürokratie hinzuarbeiten, das sich die Europäische Kommission gesetzt hat. Es geht gleichzeitig darum, einen klaren, stabilen und vorhersehbaren gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Wachstum und Beschäftigung unterstützt. Diese Revision muss drei Kriterien erfüllen:

- Erhalt eines hohen Niveaus sozialer Sicherheit und Schutz von Gesundheit und Umwelt

- Erhalt der Wahlfreiheit der Konsumenten

- Beitrag dieser Texte zu den Zielen für Wachstum und Beschäftigung

Heute lohnt es sich, diese Anstrengungen vorzunehmen und die europäischen Normen klarer, verständlicher und zugänglicher zu machen. Dies geschieht hauptsächlich über eine Analyse der Bedeutung jeder neuen Gesetzgebung. Die interinstitutionelle Vereinbarung Bessere Rechtsetzung« vom 13. April 2016 hat schon einige Fortschritte gezeigt. Die Kommission vereint die betroffenen Akteure direkter via Einbeziehung der Vertreter, die in Form von Gruppenbesprechungen oder Audienzen stattfindet. Besonderes Augenmerkt gilt vor jeglicher Entscheidung ebenfalls auf kleinen und mittelständigen Unternehmen, um festzustellen, ob ein europäisches Gesetz sie betrifft und falls ja, welche Wirkung sie je nach KMU-Typ in den betroffenen Sektoren hat.

Es geht also darum, weiter zu gehen. Ein Aufteilen der Kosten und Vorteile muss systematisch im Vergleich zur Größe des Unternehmens durchgeführt werden, bevor sie qualitativ und falls möglich quantitativ analysiert werden, wobei darauf geachtet werden muss, dass die direkten (Verwaltungskosten und Umsetzungskosten) und indirekten (Konkurrenz in der Marktstruktur) Kosten erhoben werden. Diese Studie muss in der Untersuchung von Alternativ- oder Dämpfungsmaßnahmen münden. Diese müssen das Proportionalitätsprinzip einhalten. Sie können als Ausnahmen dargestellt werden (z.B. Unternehmen unter einer bestimmten Schwelle können von bestimmten Regeln ausgenommen werden, wenn dadurch das ursprüngliche Ziel des Gesetzes nicht in Frage gestellt werden).

Die gleiche Argumentation gilt auch für Gebietskörperschaften . Zahlreiche neuere Maßnahamen haben eine substantielle Abweichung zwischen dem Gewinn aus dem durch die EU verfolgten Ziel und den Umsetzungskosten für Gebietskörperschaften gezeigt. Diese sind häufig die erste Stufe der Umsetzung europäischer Politik und es lohnt sich, ihre Situation zu studieren, wenn man eine optimale Umsetzung der europäischen Ziele verfolgt.

Die Gebietskörperschaften müssen ihre Einwände bei der Europäischen Union einbringen können. Dies ist die Rolle des Ausschusses der Regionen, die es zu stärken gilt.

Gleichzeitig ist die politische Kontrolle der Normungsmandate, die dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) unterliegt, zu verstärken.

3. Festigung der Kontrollaufgabe der nationalen Parlamente

Der Vertrag der Europäischen Union enthält in Artikel 12 die Aussage: Die nationalen Parlamente tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei« . Dies findet auf verschiedenen Ebenen statt, ob es sich nun, wie seit 2005 festgelegt, um den politischen Dialog mit der Europäischen Union, oder um die Kontrolle der Subsidiarität, die durch Protokoll Nr.2 im Anhang des Lissaboner Vertrags handelt.

Die Prüfung dieser Maßnahmen zeigt, dass sie verbesserungsfähig sind, besonders im Hinblick auf eine Annäherung der Europäischen Union an ihre Bürger, ohne dabei ihre in den Verträgen des Europäischen Parlaments festgehaltenen Rolle zu beschneiden. Die Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Konstruktion muss zu einer wahrlich geteilten Souveränität zwischen Europäischer Union und Nationalstaaten werden, die das Herzstück des Subsidiaritätsverständnisses darstellt.

a) Die Kontrolle der Subsidiarität

Die Kontrolle der Subsidiarität ist heute ein Prinzip, das in der europäischen Aktivität der nationalen Parlamente verankert ist. Das Vorgehen ist dennoch weiterhin perfektionierbar, um die Kontrollqualität zu erhöhen 14 ( * ) . Eine bessere Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene würde es ermöglichen, dass die Vielfalt der Gebiete, insbesondere der Überseegebiete, besser einbezogen würde, deren Besonderheit auf europäischer Ebene nicht genügend beachtet wird.

Die Europäische Kommission muss im Vorfeld die Vorlage eines Rechtsvorschlags rechtfertigen und die Rechtfertigung nicht nur auf die Vertiefung der Interventionslinien in den Binnenmarkt legen .

Die nationalen Parlamente verfügen über acht Wochen ab Publikation des Textvorschlags durch die Europäische Kommission, um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu evaluieren. Diese Frist erscheint kurz und sollte auch zehn Wochen verlängert werden.

In begründeten Fällen, muss die Europäische Kommission schnell antworten - innerhalb einer Frist von 12 Wochen - und auf die von den nationalen Parlamenten aufgenommenen Argumenten eingehen. Die Antwortfrist liegt derzeit bei mehr als drei Monaten.

Die delegierten Rechtsakte müssen an die nationalen Parlamente übergeben werden, um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu kontrollieren. Die Durchsetzungs- oder delegierten Rechtsakte stellen Ergänzungen zu den Rechtsakten dar, die dieser Kontrolle unterzogen werden. Diese Kontrolle ist also heute nur eine Teilkontrolle.

b) Der politische Dialog mit der Europäischen Union

Eine Verbesserung des politischen Dialogs ist ebenfalls vorzusehen. Dieser direkte Austausch zwischen nationalen Parlamenten und Europäischer Kommission, der 2005 eingeführt und 2008 reformiert wurde, dient im Gegensatz zur Subsidiaritätskontrolle dazu, die von der Europäischen Kommission übermittelten Dokumente tiefgründig zu begutachten. Die Europäische Kommission muss im Allgemeinen innerhalb von drei Monaten auf die von den nationalen Parlamenten aufgenommenen Punkte eingehen. Diese Frist wird jedoch kaum eingehalten. Die Antworten der Europäischen Kommission sollten im Übrigen besser argumentiert werden.

4. Vergabe eines Initiativrechts an die nationalen Parlamente: die Grüne Karte«

Im Hinblick auf ihre besondere Rolle beim Gesetzgebungsprozess und in Anbetracht des Ziels der Kommission Juncker, die Koordination zu verbessern, erscheint es legitim, den nationalen Parlamenten bei der europäischen Gesetzgebung eine stärkere Rolle zuzugestehen. Gleichzeitig wäre es gut, wenn die nationalen Parlamente nicht in eine Rolle der ewigen Opposition gedrängt würden, die sie mit der Subsidiaritätskontrolle und der Grünen Karte« innehaben.

Für ein Initiativrecht der nationalen Parlamente: Die Grüne Karte«

Es geht darum, ein Initiativrecht oder eine Grüne Karte« zu schaffen, die es den nationalen Parlamenten ermöglicht, der Europäischen Union Aktionen vorzuschlagen oder die vorhandene Gesetzgebung zu verändern.

Dazu müsste eine Mindestzahl der teilnehmenden nationalen Parlamente, eine Frist und eine Teilnahmefrist vereinbart werden. Dieses Recht existiert seit dem Lissaboner Vertrag für das Europäische Parlament. Gemäß Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann das Europäische Parlament auf Basis eines Berichts einer seiner Kommissionen, die Kommission bitten, die passenden Gesetzesvorschläge einzureichen. Es kann auch eine Frist für diesen Vorschlag festlegen. Die zuständige parlamentarische Kommission muss zuvor die Zustimmung der Konferenz der Präsidenten einholen.

Die Kommission kann entweder ihre Zustimmung abgeben oder den verlangten Gesetzesvorschlag nicht vorlegen. Die Grüne Karte« würde den nationalen Parlamenten ein ähnliches Instrument ermöglichen.

Die nationalen Parlamente müssen ebenfalls zur Erarbeitung des jährlichen Arbeitsprogramms beitragen, das von der Kommission vorgelegt wird. Gemäß der interinstitutionellen Vereinbarung Bessere Rechtsetzung«, die gerade in Kraft getreten ist, stehen nur das Europäische Parlament und der Rat mit der Kommission im Austausch, wenn es um die Erarbeitung des Arbeitsprogramms geht. Eine systematische Debatte sollte innerhalb der Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europa-Angelegenheiten (COSAC) stattfinden, die längerfristig in eine ständige Sitzung der nationalen Parlamente verwandelt wird (s. Unten), unter Beisein des Präsidenten der Europäischen Kommission und auf Basis der Entschließungen, die von den nationalen Parlamente angenommen wurden.

Diese verstärkte Rolle der nationalen Parlamente kann im Rahmen der aktuellen Verträge über eine politische Vereinbarung ausprobiert werden, wodurch der Dialog zwischen den europäischen Behörden und insbesondere der Europäischen Union vertieft wird. In einer zweiten Phase sollte dies in die Verträge aufgenommen werden.

Mittels dieser wichtigeren Rolle für den Entscheidungsprozess, tragen die nationalen Parlamente zur Rückeroberung des europäischen Projekts durch die Bevölkerung bei.


* 14 Dies ist der Sinn des Beitrags von Präsident Gérard Larcher an seine Amtskollegen in den nationalen Parlamenten am informellen Treffen in Bratislava am 07. Oktober 2016.

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