B. FÖRDERUNG DER VERSTÄRKTE KOOPERATIONEN ZWISCHEN DEN INTERESSIERTEN MITGLIEDSSTAATEN

Diese Methode hat sich während der Geschichte der Europäischen Union bewährt. Es ist eine pragmatische Methode, die zur Neulancierung des europäischen Projekts beitragen muss.

1. Eine bewährte Methode

Die durch den Vertrag von Amsterdam 1997 eingeführte Kooperation muss es einigen Staaten ermöglichen, in einigen Bereichen schneller voranzukommen , ohne vom Willen der zögernderen Partner abzuhängen. Sie akzeptiert, dass nicht alle Mitgliedsstaaten sich gleich schnell bewegen und nicht an den gleichen Politiken teilnehmen. Zwei Argumente sind allerdings für diese Option vorzubringen:

- Sie ermöglicht die Regel der Einstimmigkeit zu umgehen, die bestimmte Fortschritte blockieren kann, insbesondere bei Steuerthemen.

- Die verstärkte Kooperation muss bei Erfolg ebenfalls eine tatsächliche Rolle als Triebfeder für die experimentierenden Staaten haben, wenn diese anschließend auf die gesamte EU ausgedehnt wird.

- Die verstärkte Zusammenarbeit kann als Antwort auf die politische Verlangsamung genannt werden, die mit der Erweiterung und den damit einhergehenden Schwierigkeiten einen Konsens zu erreichen entstanden sind. Sie akzeptiert die Differenzen in Ansatz und Rhythmus, was die Vertiefung der EU angeht. Es ist kaum verwunderlich, dass der Einsatz im Vertrag von Nizza (2000) und Lissabon (2009) erklärt wurde, da die EU langsam um 13 Mitgliedsstaaten erweitert wird.

Die Artikel 43 bis 45 des EU-Vertrags und Artikel 326 bis 334 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die mit dem Vertrag von Lissabon revidiert wurden, erwähnen die Modalitäten für die verstärkte Zusammenarbeit im Detail. Die Verfasser des Vertrags von Lissabon wünschten sich eine Vereinfachung der Nutzung dieses Instruments , das alle Bereiche der europäischen Arbeit betreffen kann, solange mindestens neun Mitgliedsstaaten mitmachen. Die Bewilligung, mit einer verstärkten Zusammenarbeit voranzuschreiten, wird vom Ministerrat erteilt, der die qualifizierte Mehrheit unter Vorlage durch die Kommission und nach Annahme durch das Europäische Parlament darstellt. Bei der Außen- und Sicherheitspolitik wird die Bewilligung vom Ministerrat unter einstimmiger Zustimmung erteilt. Die Kommission und die an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Staaten ermutigen die größtmögliche Anzahl Staaten an dieser Kooperation teilzunehmen, aber nur die teilnehmenden Staaten können Akte annehmen.

Drei verstärkte Zusammenarbeitschancen wurden seit Annahme des Vertrags von Lissabon umgesetzt:

- 14 Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, haben im Juli 2010 die gemeinsamen Regeln für Scheidungen von binationalen Paaren festgelegt.

- 26 Mitgliedsstaaten - ohne Spanien und Italien - haben im März 2011 eine verstärkte Zusammenarbeit zur Schaffung eines EU-Patents mit 25 Staaten umgesetzt.

- 11 Staaten, darunter Frankreich, haben im Januar 2013 ebenfalls eine verstärkte Zusammenarbeit zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer begonnen, wobei dieses Instrument noch nicht vollständig erarbeitet ist.

Die Einführung der verstärkten Zusammenarbeit in den europäischen Gesetzrahmen ist keine komplette Neuheit. Die Logik der Differenzierung wurde schon bei der Umsetzung des europäischen Währungssystems (1979) und beim Schengenraum (1985) angewandt, die beide nicht alle Staaten einschließen. Auch da haben die Förderer dieser Ideen zu Beginn den Emulationseffekt betont, den diese haben würden 19 ( * ) . Es lohnt sich ebenfalls, die von einigen Staaten erreichten Ausnahmen in bestimmten Bereichen aufzuführen: Großbritannien im Sozialbereich, Dänemark bei der Außen- und Sicherheitspolitik, der Bürgerschaft, dem Rechtwesen oder den Innenangelegenheiten. Die beiden Länder sind ebenfalls nicht Teil der Eurozone 20 ( * ) . Polen, die Tschechische Republik und Großbritannien profitieren ebenfalls von einer Ausnahme bezüglich der Anwendung der Charta der Grundrechte, die dem Vertrag von Lissabon anhängt. Die neuerliche Unterzeichnung des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung (SKS-Vertrag, ,2013) hat ebenfalls nicht alle Mitgliedsstaaten bewegt: Großbritannien und die Tschechische Republik weigern sich, die Überwachung der Budgetsituation der Mitgliedsstaaten zu stärken.

2. Eine pragmatische Methode zur Neulancierung des europäischen Projekts

Der Einsatz verstärkter Zusammenarbeit wirft die Frage eines Europas konzentrischer Kreise oder der zwei Geschwindigkeiten , die seit ungefähr zwanzig Jahren im Herzen der Reflexion über die Vertiefung der europäischen Konstruktion steht. Der Erfolg dieses Instruments kann überdies als klein angesehen werden, wenn man die tatsächlich umgesetzten Zusammenarbeiten ansieht.

Auch wenn das deutsch-französische Tandem unbestreitbar ein harter Kern für die Erprobung neuer Wege ist, den Staaten zu ermöglichen, den Herausforderungen, die sie nicht alleine bewältigen können, zu begegnen, muss es allein die Neulancierung des Projekts und die Vertiefung der Europäischen Union starten. Es lohnt sich, die guten Willen« zu vereinen und eine wahre Triebfeder zu schaffen. Zu diesen Bedingungen kann die verstärkte Zusammenarbeit den Rahmen darstellen, um die Reaktionsfähigkeit der Staaten gegenüber unterschiedlicher Krisen zu verbessern - Finanz- und Wirtschaftskrise, Militärkrise, Migrationskrise - und in der öffentlichen Meinung einen Mehrwert des gemeinsamen Handelns zu erreichen.

Die Eurozone kann ein erster Kreis darstellen, in dem verstärkte Zusammenarbeiten möglich sind. Die Angleichung der Steuersysteme oder die soziale Konvergenz könnte im Zentrum dieser Vorgänge stehen. Die Vertiefung des Binnenmarktes ist ebenfalls ein Thema, das sich für verstärkte Zusammenarbeiten eignet, besonders im Energiebereich und der digitalen Welt. Mit der Bildung - der Bologna-Prozess hat die Effizienz einer ursprünglich zwischenstaatlichen Initiative belegt - erscheint ein weiteres Anwendungsgebiet, insbesondere beim Lernen (s. unten). Bei der Verteidigung, vor allem deren Finanzierung, ist eine Annäherung ebenfalls angemessen.

Was auch immer das Einsatzgebiet ist, erscheinen die verstärkten Zusammenarbeiten zum Erfolg verdammt, denn sie müssen Interesse für eine europäische Aktion zeigen und die anfänglich zögernden Staaten anziehen. Sie tragen in sich den Neuanfang des europäischen Projekts, aber auch dessen Erfolg auf Ebene der ganzen Europäischen Union.


* 19 Im Währungsbereich, sieht der EU-Vertrag seit 1992 Folgendes vor: Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.« (Artikel 3), was ein Mitmachen in der Wirtschafts- und Währungsunion obligatorisch und ohne Ausnahme macht.

* 20 Schweden, das sich per Referendum im September 2003 gegen die Einführung des Euros ausgesprochen hat, ist ebenfalls nicht Teil des zweiten Mechanismus des Europäischen Wechselkursmechanismus (ERM II) ist, erfüllt also ein Konvergenzkriterium nicht.

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